Nachdem meine Erwähnung des Papers von Bolton/Freixas/Shapiro zu einem Monopol auf dem Ratingmarkt so große Resonanz erfahren durfte, stelle ich heute einmal ein Gedankenexperiment an.
Die Forscher haben in dem o.g. Paper hergeleitet, dass eine monopolistische Ratingagentur dazu beitragen kann, die existierenden Interessenkonflikte abzubauen. Sie argumentieren, dass bei einer einzigen Agentur nicht die Gefahr besteht, dass Emittenten ihre Auftragsvergabe an gute Ratingnoten koppeln und ggf. den Ratinganbieter wechseln.
Führt man diesen Gedanken weiter, kommt man zu einer einzigen, weltweiten Monopolagentur. Diese ist dann tatsächlich völlig unabhängig von den Wünschen der Emittenten und könnte ohne Rücksicht auf Mandatsverlust Noten vergeben – es existieren ja keine Alternativen.
Nun ist aber leider das Rating – also die Einschätzung der zukünftigen Zahlungsfähigkeit eines Schuldners – mit hoher Unsicherheit verbunden. Weder in der Theorie noch in der Praxis existieren Modelle zur sicheren Vorhersagbarkeit der Zukunft (sieht man einmal von der neoklassischen Theorie ab, die in den letzten Jahren sehr in die Kritik gekommen ist).
Wir hätten dann also eine einzige Ratingagentur, die mit ihrer Methode Bonitätseinschätzungen weltweit abgibt. Damit ist diese Methode das einzig verfügbare System. In einer de facto unsicheren Welt. Es wäre dann völlig unerheblich, ob und in welchem Maße die Methode transparent gemacht wird. Schliesslich steht sie nicht im Wettbewerb mit anderen Methoden, die möglicherweise besser sind. Sicherlich könnte man die Aufsicht über diese eine Agentur so gestalten, dass Missbrauch oder offensichtliches Fehlverhalten verringert wird. Dies wird jedoch nicht dazu führen, eine perfekte Ratingmethode implementieren zu können. Und für die Agentur besteht auch kein Bedarf, ihre Ratingmethode im Zeitablauf zu verbessern – dies wäre ja mit Kosten verbunden. In einem solchen Szenario ist es irrelevant, ob die Agentur staatlich oder privatwirtschaftlich geführt wird. Und auch der Preis für Ratings könnte (und müsste) hoheitlich vorgegeben werden. Ich sehe schon die Lobbyisten zu Hochform auflaufen.
Sollte eine einzelne Institution so viel Macht in sich vereinen?
Meines Erachtens ist die einzig vernünftige Möglichkeit ein Wettstreit unterschiedlicher Ratingmethoden, da keine für sich in Anspruch nehmen kann, die einzig richtige zu sein. Und unter fairen Wettbewerbsbedingungen müssen sich die besten Methoden herausstellen – ex post. Dann können die Nutzer der Ratings entscheiden, welche Agentur sich in der Vergangenheit bewährt hat. Die Emittenten werden sich diejenigen Agenturen aussuchen, deren Ratings die höchste Akzeptanz auf den Märkten erfahren, da sie ihre Wertpapiere möglichst gut platzieren wollen.
Und übrigens: faire Wettbewerbsbedingungen heisst für mich nicht drei Agenturen + eine „Europäische Ratingagentur“.