Nachdem ich mich in meinem letzten Post gefreut habe, dass der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank mein Modell kennt, muss ich nochmal inhaltlich die Europäische Ratingagentur behandeln. Reuters berichtet nun auch darüber.
Kurz zusammengefasst: Roland Berger hat jetzt nach eigener Aussage ca. 30 institutionelle Investoren (Banken, Börsen, Versicherungen) zusammengetrommelt, die die gut 300 Mio. Euro Startkapital zur Verfügung stellen wollen. Es soll eine privatwirtschaftlich finanzierte, nicht gewinnorientierte Stiftung mit Sitz in Holland und Töchtern in Frankfurt und Paris werden. Ende 2012 sollen die ersten Länderratings veröffentlicht werden. So weit, so interessant.
Meine grundsätzlichen Bedenken gegen dieses Modell habe ich an dieser Stelle bereits mehrfach ausführlich dargestellt, daher will ich nur drei Punkte nennen, die es aus meiner Sicht in der praktischen Umsetzung schwierig machen, mit diesem Modell Erfolg zu haben.
(N.B.: ich habe keine exakte Kenntnis des gesamten Modells von Roland Berger, da laut Aussage von Markus Krall einige Punkte als Geschäftsgeheimnis angesehen werden. Ich beziehe mich ausschliesslich auf öffentlich zugängliche Informationen.)
1. Haftungs- und datenschutzrechtliche Fragen
Im Reuters-Artikel wird zunächst korrekt dargestellt, dass Ratings reine Meinungsäusserungen darstellen und damit im Prinzip keiner Haftung unterliegen. Dann aber kommt folgende Aussage:
Bei fehlerhafter Analyse solle gehaftet werden, im Fall von grober Fahrlässigkeit in einem Prozentsatz der Ratinggebühr, bei Vorsatz in Prozenten des Stiftungs-Eigenkapitals. „Das setzt starke Anreize, korrekt zu arbeiten“, sagte Krall der Wirtschaftszeitung.
Es besteht in Deutschland bereits eine solche (gesetzliche) Haftung für fehlerhafte Ratings bei grober Fahrlässigkeit (und auch bei arglistiger Täuschung). Dies stellt also keine Besonderheit von Bergers Agentur dar. Und die Höhe? Ein Prozentsatz der Ratinggebühr bzw. des Stiftungskapitals bei grober Fahrlässigkeit bzw. Vorsatz? YOU GOTTA BE KIDDING ME!
Juristisch stellt sich eine m.E. viel wichtigere Haftungsfrage: alle bislang zugelassenen Klagen gegen Ratingagenturen in Deutschland und den USA hatten die Gemeinsamkeit, dass die betreffenden Bonitätsurteile ausschliesslich für bestimmte Investorengruppen erstellt wurden. Dies war die Begründung der Klagezulassung. Wenn nun die zu gründende Europäische Ratingagentur das investor pays Modell verfolgt, stellt sich dann nicht genau dieses Problem?
Datenschutzrechtliche Fragen scheinen auch noch nicht abschliessend geklärt zu sein, da das Berger-Modell auf eine europaweite Datenbank mit allen Emittentendaten setzt. Und diese Daten sind für alle beteiligten Investoren einsehbar.
2. Politischer Einfluss
Berger-Partner Krall wehrt sich in allen Veröffentlichungen vehement gegen Einfluss oder auch nur Unterstützung durch die Politik, da dies der Unabhängigkeit und Reputation schadet. Um das Modell in seiner jetzigen Form umzusetzen bedarf es aber m.W. gesetzlicher Änderungen auf europäischer Ebene.
Und möglicherweise bin ich zynisch, aber: wie unabhängig von ihren Geldgebern kann diese Agentur tatsächlich agieren? Geben Banken, Versicherungen und Börsen tatsächlich völlig altruistisch jeweils ca. 10 Mio. Euro? Ich lasse mich gern überraschen.
Ausserdem sind/waren(?) zu Beginn die Initiative Finanzplatz Frankfurt, die hessische Landesregierung und die Deutsche Börse als Partner genannt. Ob denen der Sitz in Holland zusagt?
3. Mitarbeiterakquise
Zunächst sollen ca. 20 – 25 Mitarbeiter eingestellt werden (für drei Standorte?). Um überhaupt eine gute Reputation aufbauen zu können, müssen dies anerkannte, hochqualifizierte Fachleute sein. Und welcher Analyst würde sich auf ein so riskantes Geschäftsmodell einlassen und den gut bezahlten, relativ sicheren Job bei S&P, Moody’s oder Fitch aufgeben? Da muss schon ein ziemlich hoher Risikoaufschlag im Fixgehalt enthalten sein, oder?
Ich bin ein überzeugter Verfechter für mehr Wettbewerb auf dem Ratingmarkt und wünsche alle dahingehenden Initiativen viel Erfolg. Bei dem Konzept von Roland Berger habe ich allerdings Bedenken, ob es in dieser Form tatsächlich erfolgreich umsetzbar ist.