Nach der Ratingherabstufung von Griechenland geniessen die Ratingagenturen nochmals verstärkt öffentliches und damit auch politisches Interesse. Das Handelsblatt schreibt heute:
„Die Politik will die Macht der Agenturen deutlich zurückdrängen: So sprach sich Vizekanzler Westerwelle dafür aus, für die Bewertung von Bonitäten eine unabhängige europäische Behörde einzurichten.“
Möglicherweise bin ich überkritisch bei der Wortwahl, da die Rechtsform – staatlich oder privatwirtschaftlich – aus meiner Sicht eine enorme Bedeutung hat. Der vom Handelsblatt gewählte Begriff „Behörde“ impliziert für mich eine staatliche Agentur. Diese Forderung, sofern sie von der FDP kommt, würde mich doch sehr überraschen. Insbesondere vor dem Hintergrund meiner Anfrage an Dr. Wissing (FDP) vor rund sechs Monaten. Im Artikel des Handelsblatts findet sich keine weitere Auskunft zu Westerwelles Aussage. Der Redakteur bezieht sich jedoch auf die Zeitungen der WAZ-Mediengruppe.
Und dort ist die Wortwahl eine andere.
„Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) hat sich für die Einrichtung einer unabhängigen europäischen Rating-Agentur ausgesprochen. Aus der Finanz- und Wirtschaftskrise müsse schnellstens die Lehre gezogen werden, dass die Europäische Union „der Tätigkeit von Rating-Agenturen eigene Bemühungen entgegensetzt“, sagte Westerwelle am Mittwoch den Zeitungen der WAZ-Mediengruppe.“
Die Errichtung einer europäischen Ratingagentur ist keine neue Forderung und steht in dieser Form bereits im Koalitionsvertrag der CDU/CSU-FDP Bundesregierung – check.
Auch die weitere Forderung von Westerwelle wurde in der EU-Verordnung über Ratingagenturen bereits umgesetzt: „Rating-Agenturen dürfen nicht gleichzeitig Finanzprodukte entwickeln, vertreiben und bewerten. Solche Interessenkonflikte sind in Zukunft auszuschließen.“ – check.
Das Handelsblatt berichtet weiter:
„Auch die SPD sprach sich dafür aus, den Ratingagenturen das Wasser abzugraben. „Es darf nicht sein, dass das Schicksal ganzer Länder und letztlich die Stabilität des Euro einzig und allein vom Urteil einer Ratingagentur abhängt“, sagte der Vize-Sprecher der parlamentarischen Linken in der SPD, Carsten Sieling, Handelsblatt Online. „Deshalb brauchen wir zweierlei: Eine europäische Ratingagentur, die frei von politischer Einflussnahme agieren kann. Und die Einsicht, dass externes Rating in keinem Fall die eigene Risikoanalyse ersetzt.“
Eine europäische Ratingagentur, die frei von politischer Einflussnahme agieren kann??
Der Nerd würde dazu sagen *ROFL*. Ich möchte meine größten Zweifel an dieser Unabhängigkeit zum Ausdruck bringen.
Glaubt ernsthaft irgend jemand – insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Reaktionen auf die Herabstufung Griechenlands durch S&P –, dass eine solche europäische Agentur wirklich politisch unabhängig sein kann?
[Nachtrag: der im Handelsblatt verlinkte Blog-Beitrag von Frank Wiebe inklusive der Kommentare ist ebenfalls sehr lesenswert.]
3 Gedanken zu “Europäische Ratingagentur reloaded”